Als Vielreisende hatten wir ja schon öfter mal das eine oder andere Problem im Urlaub, bei dem wir unsere Pläne ändern mussten, z. B.:
- Neuseeland 2019: Ein Unwetter schneidet die Westküste der Südinsel von der Außenwelt ab und wir müssen unsere Reiseplanung und Verkehrsmittel grundlegend ändern.
- Sylt 2017: Der InterCity nach Westerland fällt unterwegs aus und wir kommen letztendlich mit zwei Stunden Verspätung an.
- Neuseeland 2010: Kurz vor unserem Rückflug bricht auf Island der Eyjafjallajökull aus und legt den Flugverkehr auf der Nordhalbkugel für einige Tage lahm.
- Nürnberg 1999: Bei einem U-Bahn-Zug schließen die Türen nicht mehr, so dass wir aussteigen und die nächste U-Bahn nehmen müssen.
- Zermatt 1993: Auf unserer Hochzeitsreise sind wir aufgrund eines Erdrutsches drei Tage von der Außenwelt abgeschnitten.
Aber diesmal war es anders.
Hier ist unser Tagebuch:
Mo., 30.12.2019:
Wir haben noch 16 Tage Resturlaub, die (zumindest bei Thomas) bis Ende März genommen sein müssen. Also buchen wir 14 Tage Malta. Auf Empfehlung eines Kollegen von Thomas nutzen wir das Mitarbeiterportal von Siemens und buchen dort über Expedia. Das hat den Vorteil, dass wir rein rechtlich eine Pauschalreise abschließen und somit Expedia verantwortlich ist, sich bei evtl. auftretenden Problemen aktiv zu kümmern. Los geht es am 29. Februar (bis zum 14. März). Das Coronavirus ist zu diesem Zeitpunkt noch komplett unbekannt.
Di., 31.12.2019:
Es wird erstmals berichtet, dass in China mehrere Personen an einer schweren unbekannten Lungenentzündung erkrankt sind.
Di., 7.1.2020:
Das Coronavirus wird als Ursache für die Lungenentzündungen identifiziert.
bis Ende Februar:
In Deutschland gibt es im Januar/Februar vereinzelte Fälle. In Italien jedoch ist die Anzahl der Corona-Infizierungen hoch.
Sa., 29.2.:
Bei der Einreise nach Malta gibt es viele Warnhinweise mit Vorsichtsmaßnahmen zu Corona. Malta ist aber völlig Corona-frei.
Sa., 7.3.:
Es gibt die ersten drei Corona-Fälle auf Malta durch Italien-Rückkehrer. Einschränkungen gibt es keine.
Di.: 10.3., 10:26 Uhr:
Von einem Kollegen von Thomas kommt die Info, dass der Schüleraustausch seiner Tochter nach Kanada (sollte morgen starten) abgesagt wurde. Die Behörden von Quebec haben die Einreise aus Deutschland verboten. Einschränkungen auf das Leben auf Malta gibt es nach wie vor nicht.
Mi., 11.3., 11:46/13:53 Uhr:
WhatsApp-Nachricht und Telefonat mit einem Kollegen, dass Teile der Siemens-IT ins Home Office geschickt wurden. Einschränkungen auf das Leben auf Malta gibt es nach wie vor nicht.
Mi., 11.3., 18:58 Uhr
Auf dem Rückweg von unserem Tagesausflug nach Gozo erhalten wir eine SMS der Lufthansa: „Ihr Flug LH1311 MLA-FRA 14Mär ist annulliert. Wir kontaktieren Sie in Kürze mit einer Lösung.“ Der angekündigte Kontakt der Lufthansa hat bis heute nicht stattgefunden.
Mi., 11.3., ca. 20 Uhr:
Zurück im Hotel checkt Maria online das Lufthansa-Buchungssystem. Dort stehen unsere Rückflüge auf dem Status „bestätigt“. Im Chatbot der Lufthansa auf Facebook stehen unsere Flüge auf „cancelled“. Maria startet einen Live-Chat mit der Lufthansa. Zunächst kommt trotz mehrfacher Anfrage und mehrstündigem Warten keine Antwort. Mehrere Tage(!) später kommt die Rückfrage, ob unser Problem noch besteht. (Ein Live-Chat ergibt u. E. nur Sinn, wenn dieser "live" stattfindet.)
Mi., 11.3., 20:20 Uhr:
Anruf durch Thomas bei Expedia. Der gesamte Anruf dauerte 1 Stunde 51 Minuten, wir mussten also ca. 1¾ Stunden die unerträgliche Warteschleifenmusik von Expedia anhören. Auskunft der freundlichen Expedia-Mitarbeiterin: Der Flug findet wie geplant statt. Nach längerem Anzweifeln ihrer Aussage sucht sie tiefer im System: Ja, es sieht tatsächlich so aus als ob unser Flug annulliert ist. Sie nennt uns zwei Alternativflüge, einen mit Lufthansa einen halben Tag früher (bei dem wir bis Nürnberg mehr als 8 Stunden unterwegs wären) und einen mit Air Malta, der rund eine dreiviertel Stunde früher gehen würde als unser geplanter. Wir hätten gerne den Flug mit Air Malta. Sie kann um diese Uhrzeit aber niemanden bei der Fluggesellschaft erreichen und gibt den Fall an die Expedia-Frühschicht weiter. Morgen Vormittag sollen wir von einem Kollegen zurückgerufen werden.
Do., 12.3.:
Viele Busfahrer tragen Masken.
Do., 12.3., 10:51 Uhr:
Wir sitzen gerade im Bus auf dem Weg zu unserer Wanderung zur Blauen Grotte, als der angekündigte Rückruf von Expedia auf Thomas’ Handy eingeht. Auskunft: Laut Buchungssystem der Lufthansa ist unser Flug nicht annulliert und wir dürfen davon ausgehen, dass er doch wie geplant durchgeführt werden wird. Falls nicht, meldet sich die Lufthansa üblicherweise spätestens 24 Stunden vor dem Abflug mit Alternativen. Wir sind skeptisch, machen aber erstmal unsere Ausflüge zur Blauen Grotte und nach Valletta.
Do., 12.3., ca. 17 Uhr:
Bei der Rückkunft im Hotel liegt vor unserer Zimmertür ein Schreiben der deutschen Botschaft. Darin heißt es u. a., dass seit Mitternacht alle Flüge von und nach Deutschland (und anderen Ländern) abgesagt wurden. Die maltesische Regierung beabsichtigt, für Rückkehrwillige in absehbarer Zeit Charterflüge zu organisieren. Wir werden aufgefordert unsere Kontaktdaten an die deutsche Botschaft zu mailen, was wir um 17:05 Uhr tun. Das Infoschreiben der Botschaft zeigt allerdings auch, dass Expedia beim Rückruf am Vormittag längst andere Informationen hätte haben können/müssen.
Fr., 13.3., 0:10 Uhr:
Nachdem wir von unserem Abendessen zurück sind, schickt Maria noch eine E-Mail an Expedia mit der Frage, wie der Ablauf ist, falls wir unseren Aufenthalt verlängern müssen, insbes. bzgl. Verlängerung der Hotelbuchung. Die automatische Antwort von Expedia besagt, dass sie binnen 48 Stunden antworten werden. Das wäre natürlich viel zu spät. Eine Antwort erhalten wir nie.
Fr., 13.3.:
Unser Stammcafé hat – wie viele andere Restaurants auch – nur noch Takeaway.
In den Restaurants, die noch geöffnet haben, gibt es deutlich vergrößerte Abstände zwischen den Tischen.
In die Busse dürfen nur noch so viele Personen, wie es Sitzplatze gibt. Niemand darf stehen.
Fr., 13.3., 8:07 Uhr:
Anruf bei Expedia. Wir hängen 1 Stunde 54 Minuten in der Warteschleife bis der Anruf abbricht.
Fr., 13.3., 9:23 Uhr:
Anruf bei der deutschen Botschaft auf Malta. Wir werden gebeten, mittags nochmals anzurufen, ggf. haben sie dann mehr Informationen.
Fr., 13.3., ab 9:33 Uhr:
15 Anrufe bei der Lufthansa. Es gibt nur eine Ansage, dass sie überlastet sind (keine Warteschleife) und der Anruf wird automatisch beendet.
Fr., 13.3., 11:47-12:21 Uhr:
Anruf bei der Botschaft: Wir sollten versuchen auch selbst einen Rückflug zu organisieren.
Anruf bei Air Malta (die haben den einzigen noch bestehenden Flug nach Deutschland): Ja, wir haben noch Plätze frei, aber die sind nur über die deutsche Botschaft buchbar.
Anruf bei der deutschen Botschaft: Gemeint waren Rückflüge über andere Staaten.
Fr., 13.3., 12:27 und 19:21 Uhr:
Wir werden zum Check-in für unseren annullierten(!) Flug aufgefordert, was natürlich nicht funktioniert. Wir versuchen deshalb zwei Mal bei der Lufthansa anzurufen, wieder nur eine Ansage, keine Warteschleife.
Fr., 13.3., 13:05-22:19 Uhr:
6 Anrufe bei Expedia, immer Abbruch oder Ansage, dass sie eine technische Störung hätten.
Fr., 13.3., 19:46 Uhr:
Erneute E-Mail an Expedia, da sie telefonisch nicht erreichbar sind. Die automatische Antwort verspricht eine Reaktion innerhalb von 48 Stunden. Eine Antwort erhalten wir nie.
Sa., 14.3.:
Das große mehrstöckige Einkaufszentrum (inkl. Supermarkt) in Sliema hat komplett geschlossen.
Sa, 14.3., 6:12 Uhr:
Anruf bei Expedia. Nach 52 Minuten und längerer Diskussion um die erneute Aussage, dass der Flieger angeblich normal geht (er schickt uns dies sogar per E-Mail), ist der Mitarbeiter schließlich doch davon zu überzeugen, dass der Flug storniert ist und genehmigt uns, dass wir den Hotelaufenthalt verlängern. (Er kann das angeblich nicht, weil er nicht auf das System kommt. Wir sollen dazu in vier Stunden noch einmal anrufen.)
Sa, 14.3., 9:15 Uhr:
Anruf bei der Botschaft. Wir wollen klären, wie lange im Voraus wir über einen Rückflug informiert werden, d. h., ob wir den Tag über auf Malta etwas unternehmen können. Antwort: Ja, wir können Urlaub machen, wir werden am Tag vorher informiert, wenn wir ausgeflogen werden können (wahrscheinlich nicht vor Montag).
Sa, 14.3., 9:47 Uhr:
Anruf bei Expedia, damit diese das Hotel verlängern, ohne dass wir in Vorleistung gehen müssen. Wir hängen 40 Minuten in der Warteschleife bis der Anruf abbricht.
Sa, 14.3., 10:30 Uhr:
Wir verlängern das Hotel für eine Nacht.
Sa., 14.3., 10:51 Uhr:
Erneute E-Mail an Expedia, da sie telefonisch nicht erreichbar sind. Die automatische Antwort verspricht eine Reaktion innerhalb von 48 Stunden. Eine Antwort erhalten wir nie.
So, 15.3., 7:45 Uhr:
Wir verlängern das Hotel für eine weitere Nacht.
So., 15.3., 8:17 Uhr:
Erneute E-Mail an Expedia, da sie telefonisch nicht erreichbar sind. Die automatische Antwort verspricht eine Reaktion innerhalb von 48 Stunden. Eine Antwort erhalten wir nie.
So., 15.3., ca. 8:45 Uhr:
An der zentralen Bushaltestelle in Sliema sind wir ganz alleine. Der Bus ist fast leer und kommt 20 Minuten vor Plan an der Fähre nach Gozo an – es ist nichts los auf den Straßen. Wir dürfen als Deutsche ohne ärztliches Attest nicht mehr mit der Fähre nach Gozo fahren und wandern stattdessen auf Malta.
So, 15.3., ca. 15:30 Uhr:
Als wir von unserer Wanderung zurück ins Hotel kommen, liegt ein zweites Schreiben der Botschaft unter der Tür. Alle Deutschen auf Malta sollen sich demnach in die Krisenvorsorgeliste des Auswärtigen Amtes eintragen.
So, 15.3., 15:45/16:10 Uhr:
Anruf bei der Botschaft. Wir erhalten die Auskunft, dass wir uns – da wir schon direkt bei der Botschaft registriert sind – nicht in die Krisenvorsorgeliste eintragen müssen und dass wir nicht vor Mittwoch mit einem Evakuierungsflug rechnen können. Sie haben die Anzahl der Deutschen auf Malta deutlich unterschätzt und es gibt noch viele Personen mit höherer Priorität (Kinder, Kranke, Alte, Personen in Quarantäne). Es klang für uns also eher so, als ob es durchaus noch länger dauern wird.
So, 15.3., 16:16-16:50 Uhr:
5 Anrufversuche bei Expedia. Es gibt einmal eine Warteschleife mit Abbruch, ansonsten nur direkte Anrufabbrüche.
So., 15.3., 16:43 Uhr:
Nach der Auskunft der Botschaft suchen wir nach einem Heimflug über ein anderes Land. Wir finden einen Flug nach Wien für Mi., 18.3. am frühen Morgen, buchen diesen und planen, mit dem Zug nach Nürnberg weiter zu fahren. Da sich die Lage derzeit stündlich ändert, ist im Moment noch völlig unsicher, ob der Flug in drei Tagen tatsächlich gehen wird. Wir bleiben daher auf der Liste der Botschaft. Sollten wir vorher doch einen Evakuierungsflug angeboten bekommen, dann wollen wir den Flug nach Wien stornieren, da ebenso unklar ist, ob wir am Mittwoch noch mit der Bahn von Österreich nach Deutschland kommen können.
So, 15.3., 16:57/18:31 Uhr:
2 Anrufe bei der Lufthansa, wieder nur eine Ansage, keine Warteschleife.
So., 15.3., 21:10 Uhr:
Erneute E-Mail an Expedia, da sie telefonisch nicht erreichbar sind. Die automatische Antwort verspricht eine Reaktion innerhalb von 48 Stunden. Eine Antwort erhalten wir nie.
Mo, 16.3., 7:30 Uhr:
Wir verlängern das Hotel für zwei Nächte, wobei das Hotel lieber nur um eine Nacht verlängern wollte. Sie wollen nämlich schließen, da kaum noch Gäste da sind und keine neuen nachkommen.
Mo, 16.3., 8:00 Uhr:
Anruf bei der Botschaft. Wir informieren sie, dass das Hotel schließen wird, in der Hoffnung, dass wir auf der Liste etwas nach vorne rutschen. Die Mitarbeiterin verspricht uns, dass sie diese Information berücksichtigen wird.
Mo., 16.3.:
Das Frühstück im Hotel gibt es nicht mehr im Hotelrestaurant, sondern nur noch im kleinen Rahmen in der Lobby.
Es gibt nur noch wenige Restaurants, die geöffnet haben. Viele davon bieten nur noch Takeaway an. Es ist sehr wenig los.
Di., 17.3., 8:07-9:05 Uhr:
Insgesamt vier Anrufe bei der Botschaft. Sie können uns leider noch nicht sagen, wann wir dran kommen.
Di., 17.3., 9:47-9:57 Uhr:
Insgesamt neun Anrufe bei Air Malta, bis wir bestätigt bekommen, dass unser Flug nach Wien am kommenden Morgen auch wirklich geht und dass wir um 5:15 Uhr am Flughafen sein sollen.
Di., 17.3.:
Es hat fast alles geschlossen. Sogar die sonst so dichtgedrängte Fußgängerzone von Valletta ist wie ausgestorben. Die großen Straßenverkehrshinweisschilder warnen nun vor Corona.
Di, 17.3., 20:30 Uhr:
Nachdem wir gepackt und ein Taxi für den nächsten Morgen bestellt haben, gehen wir zeitig schlafen. Der Wecker wird um 4:00 Uhr klingeln.
Di., 17.3., 22:56 Uhr:
Mias Handy klingelt. Die deutsche Botschaft teilt uns mit, dass wir morgen ausgeflogen werden, dass wir um 13 Uhr am Flughafen sein sollen und dass wir Ausschau nach zwei Personen mit orangefarbenen Westen halten sollen.
Di., 17.3., 23:53 Uhr:
Nach der Absage des Taxis für morgen früh und längerer Suche nach einer Hotline, die um diese Uhrzeit noch erreichbar ist, stornieren wir den Flug nach Wien bei Air Malta.
Mi., 18.3., 00:09 Uhr:
Wir legen uns wieder schlafen. Wir sind allerdings so aufgewühlt, dass das Einschlagen schwer fällt und länger dauert.
Mi., 18.3., 9:45 Uhr:
Nach dem Frühstück (heute nur noch auf dem Zimmer!) und Auschecken im Hotel brechen wir mit dem Bus zum Flughafen auf. Zeit, um noch etwas Sinnvolles an diesem Tag zu machen, wäre eh nicht. Es ist sowieso der erste Tag des Urlaubs, der überwiegend bewölkt ist.
Der Schnellbus zum Flughafen fährt übrigens nicht mehr. Wir müssen die normale Verbindung mit Umsteigen in Valletta nutzen. Da die Straßen ausgestorben sind, sind wir schneller als der Schnellbus lt. Plan.
Mi., 18.3., 12:34 Uhr:
Flughafen Malta: Thomas' Handy klingelt. Anruf von der deutschen Botschaft mit der Nachricht, dass er morgen fliegen kann. Soll das etwa bedeuten, dass mit dem gestrigen Anruf und dem Rückflug heute nur Maria gemeint war? Maria lässt am Schalter von Air Malta die Passagierliste prüfen und gibt Entwarnung.
Mi., 18.3., 12:50-23:15 Uhr:
12:50 Uhr: Der Botschafter trifft am Flughafen ein.
13:15 Uhr: Check-in beginnt.
15:50 Uhr: Boarding beginnt.
16:42 Uhr: Das Flugzeug rollt.
16:45 Uhr: Das Flugzeug ist in der Luft.
19:10 Uhr: Wir sind in Frankfurt gelandet.
20:02 Uhr: Wir sitzen im Zug nach Nürnberg. (Die Bahn befördert uns als gestrandete Urlauber kostenlos!)
22:23 Uhr: Wir sind in Nürnberg.
23:15 Uhr: Wir sind endlich wieder zu Hause.
Mi., 18.3., 14:52 Uhr:
Air Malta stellt den Flugbetrieb ein. Es gibt nur noch humanitäre Sonderflüge.